Another Thin Man
Deutscher Titel: Dünner Mann, 3. Fall / Noch ein dünner Mann
Regie: W. S. Van Dyke
Drehbuch: Frances Goodrich, Albert Hackett
Nennenswerter Cast: William Powell, Myrna Loy, Virginia Grey
Erstveröffentlichung: 17.11.1939
Deutsche Erstveröffentlichung: 30.6.1969 (TV)
Laufzeit: 103 Min.
Empfohlene Heimversion: Sowohl The Complete Thin Man Collection als auch Die komplette Dünner Mann Collection, die alle sechs Filme auf DVD zusammenbringt, ist offenbar überall ausverkauft und nur noch am Sekundärmarkt erhältlich. Hier muss man wohl leider auf einen Streaming-Dienst ausweichen. Aktuell (Stand Juli 2022) sind alle Thin Man-Filme bei Amazon Prime Video und iTunes abrufbar.
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Hier haben wir einen sehr ähnlichen Fall wie bei Son of Frankenstein: Another Thin Man ist ebenso der dritte und letzte wirklich gute Teil einer langen Filmreihe. Der erste The Thin Man (1934), nach dem gleichnamigen Hardboiled-Detective-Roman von Dashiell Hammett, gilt zu Recht als Comedy-Meisterstück. Er findet sich auf sämtlichen Bestenlisten, ist aber leider etwas in Vergessenheit geraten. Der titelgebende dünne Mann ist eigentlich ein Verdächtiger des ersten Teils, der Name wurde aber für die Fortsetzungen beibehalten. Teil 2, After the Thin Man (1936) ist mindestens so lustig wie der erste und übertrifft diesen in vielerlei Hinsicht, findet sich aber skandalöserweise auf keinen Bestenlisten. Ein weiterer Beweis, dass man diese nicht überbewerten darf, da es bei ihnen oft vor allem um die historische Bedeutung eines Werkes geht.

Ich kann jedem nur ans Herz legen, sich die ersten beiden Filme der Reihe anzusehen. Wie viel Wortwitz und Spracheleganz in der deutschen Synchronfassung überlebt, weiß ich nicht. Nick und Nora Charles sind ein unkonventionelles, lebensfrohes, stets leicht alkoholisiertes Ehepaar, das sich permanent gegenseitig aufzieht. Der geniale und überall bekannte Lebemann Nick (William Powell) war früher ein New Yorker Privatdetektiv und genießt nun ein unbeschwertes Socialite-Leben mit der Millionärserbin Nora (Myrna Loy). Nora ist ebenso verbal schlagfertig, gewitzt und intelligent wie ihr Mann. Nick wird in jedem der Filme irgendwie wieder zu seiner alten Berufung zurückgeholt, auch weil seiner Frau das High-Society-Leben sonst zu langweilig wäre.

Liebesbeziehungen sind in Hollywood heute oft so plump und oberflächlich geschrieben, dass man sich fragt ob die Drehbuchautoren jemals wirklich verliebt waren. Die Beziehung von Nick und Nora hingegen ist glaubwürdig und erfrischend realistisch. Die zwei haben, auch abgesehen von der finanziellen Absicherung und ihrem gesellschaftlichen Status, die Art von romantischer Beziehung, die man sich nur wünschen kann: Liebevoll, neckend, keine Heuchelei und niemand verstellt sich.

Nick Charles ist ultra-nonchalant, nimmt alles auf die leichte Schulter und ist immer gut gelaunt. Nick ist dank Nora in der High Society angekommen und hat durch seinen Beruf in New York viele Freunde und Bekannte in der „Low Society“ gesammelt. Ein bunter Haufen von halbseidenen, kleinkriminellen, fragwürdigen Figuren kreuzt der Reihe nach bei Partys und sonstigen Gelegenheiten auf. Aus diesem Milieu-Kontrast wird sehr viel Humor gewonnen, der nie billig ist.

Ich mochte schon immer Hauptfiguren, die über den Dingen zu stehen scheinen und Nick Charles ist die beste Version davon. Er erinnert an den von Robert Downey Jr. verkörperten Tony Stark aus den MARVEL-Filmen zwischen 2007 und 2019. Er ist der Iron Man (minus Rüstung) der 1930er: Weltmännisch, genial, selbstsicher, eloquent und ein liebenswerter Bastard. Nick ist nicht ganz so arrogant wie Stark, hat nicht das Bedürfnis, irgendjemand zu beeindrucken und schafft es dennoch ständig.

After the Thin Man ist mein persönlicher Favorit der Reihe. In Teil 2 wurden mindestens so viel Humor und messerscharfe Dialoge reingepackt, wie im ersten Teil. Nick durchbricht noch mehr soziale Konventionen und veräppelt auf seine elegante Art jeden, mit dem er es zu tun hat. Der Murder Mystery-Part ist auch spannender als im Vorgänger. Sowohl in The Thin Man als auch After the Thin Man gelingt eine perfekte Balance zwischen Comedy und einem Whodunit-Krimi.

Was uns schließlich zu Another Thin Man bringt, den letzten wirklich guten Teil der Reihe, der aber gleichzeitig nicht an seine beiden großartigen Vorgänger herankommt. Bereits bei Teil 3 scheint es, als wäre den Drehbuchschreibern die Gags ausgegangen (Teil 4 bietet dann noch weniger Humor). Im ersten Teil war der Whodunit ein bloßer Aufhänger, um möglichst viele lustige Figuren und Comedy-Szenen zu ermöglichen. Und natürlich, um seine zwei großartigen Hauptdarsteller brillieren zu lassen. In Teil 2 war der Whodunit bereits um einiges komplexer, aber Comedy und Murder Mystery waren perfekt ausbalanziert. Kein Geringerer als James Stewart taucht in einer seiner frühesten und atypischsten Rollen auf. Der dritte Anlauf hat freilich ebenso einen lockeren Ton, aber die Comedy ist mehr ein Anhängsel und der Mordfall dominiert die Handlung von Beginn bis zum Ende.

Kurz zur Handlung: Nick und Nora sind nach ihrem Ausflug nach Los Angeles wieder in New York angekommen und wollen eine Pause von ihrem hektischen Socialite-Leben. Noras Vermögensverwalter Colonel MacFay besteht jedoch darauf, dass die beiden zu ihm in sein Anwesen kommen. MacFay erhielt Todesdrohungen von einem ehemaligen Mitarbeiter und es dauert nicht lange, bis er tatsächlich ermordet wird. Da Nick wieder eine persönliche Verbindung zu dem Fall hat, tut er das, was er am besten kann. Nora hat mittlerweile ein Baby bekommen, dieses bekommt aber in etwa so viel Aufmerksamkeit wie der Hund Asta, also sehr wenig.

Another Thin Man ist erneut bis in die kleinste Nebenrolle perfekt besetzt. Die Reihe ist voller glaubwürdiger Figuren und guter Schauspieler. Auch bei Teil 3 hat man kaum eine Chance, sich die Auflösung der komplizierten Intrige selbst zusammenzureimen und den Whodunit aufzulösen. Er ist immer noch unterhaltsam, aber wie erwähnt hat die Gagdichte stark nachgelassen. Leider hat auch Nora nicht mehr so viele gute Momente wie in den Vorgängern und bietet ihrem Mann nicht mehr so viel Paroli.

Ganze sechs Thin Man-Filme wurden zwischen 1934 und 1947 produziert. Ein Remake mit Johnny Depp wurde schon vor langer Zeit angekündigt, ist aber bis heute nicht erschienen. Das Mainstreamkino ist seit den 1990ern sehr brav und bieder geworden. Studios sind mittlerweile sehr um Political Correctness bemüht, wollen niemanden verärgern, rümpfen die Nase bei Kraftausdrücken und haben sogar das Rauchen praktisch verbannt. Also wäre es interessant zu sehen, wie ein moderne Version von The Thin Man aussehen würde. Im Original wird – auch, weil in den USA das Ende der Prohibition gefeiert wurde – literweise Alkohol getrunken und geraucht. Es wird geflirtet, ohne dass jemand deswegen einen Twitter-Aufstand befürchten muss und sexuelle Anspielungen werden ausgetauscht. Generell lässt sich feststellen, dass das Hollywoodkino der 1930er oft viel moderner und liberaler daherkommt, als jenes der biederen 1950er- und 1960er-Jahre (Prä-1968). Ebenso lässt sich beobachten, dass insbesondere bei Screwball-Komödien die weiblichen Charaktere um einiges besser geschrieben sind als in späteren Jahrzehnten. Die Frauenfiguren sind oft schlagfertig, smart und eloquent, und nicht auf Helfer-Rollen und Nebenrollen beschränkt.

Also: Teil 1 und 2 der Reihe muss man gesehen haben und wer dann noch mehr sehen will, darf mit eingeschränkter Erwartungshaltung weitermachen. Hollywood bietet heute kaum mehr gute, niveauvolle, old school Murder Mystery für Erwachsene. Ausnahmen sind die ganz brauchbaren Hercule-Poirot-Filme von Kenneth Branagh (2017, 2022) und der überbewertete Knives Out (2019) von Rian Johnson.



